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Hyperrealismus: Wenn Skulpturen atmen

Duane Hanson wurde am 17. Januar 1925 in Alexandria, Minnesota, geboren. Seine Eltern zogen auf das Land wo er seine eine Kindheit verbringt, fernab der großen Metropolen und Kunstszene. Doch bereits in der kleinen Dorfschule begegnet ihm ein Bild, das ihn prägt: Thomas Gainsboroughs „Blue Boy“. Die lebendige Beschreibung des blauen Samtanzugs zieht ihn in den Bann – eine täuschend echte Illusion, die später seinen eigenen künstlerischen Stil prägen wird.

In den 1950er- und 60er-Jahren dominiert in den USA die abstrakte Malerei. Hanson, der sich mit dieser Kunstrichtung nie anfreunden kann, sucht nach einem eigenen Ausdruck. Seine Kunst soll nicht abgehoben sein, sondern die Realität widerspiegeln – nicht nur in der Form, sondern auch im Thema. Er verlässt Amerika für einige Jahre, lebt in Deutschland, unterrichtet Kunst und kehrt Anfang der 60er-Jahre in die USA zurück.

Dort erlebt er ein Land mit Rassenunruhen, die Bürgerrechtsbewegung, die Kämpfe um Gleichberechtigung. Amerika befindet sich im gesellschaftlichen Wandel. Diese Themen inspirieren ihn zu seinen ersten sozialkritischen Skulpturen. Seine Figuren sind aus Polyesterharz gefertigt, in Lebensgröße, mit akribischem Realismus: Arbeitslose, Hausfrauen, Obdachlose, Touristen. Ihre Kleidung, ihre Haltung, ja selbst der Schmutz unter den Fingernägeln sind so echt, dass man sie für lebendig hält. An diesen hyperrealistischen Figuren wirkt alles echt. Sie sind stimmlose Zeugen eines Gesellschaftssystems, das einige wenige Gewinner und viele Verlierer hervorbringt.

Seine Werke stoßen anfangs auf Unverständnis. Ist das Kunst oder bloße Nachahmung? Kritikern ist seine Arbeit zu banal, zu direkt. Doch Hanson bleibt seiner Linie treu. In den 1970er-Jahren wird er international wahrgenommen, insbesondere durch seine Teilnahme an der documenta 5 in Kassel, wo er eine Figurengruppe obdachloser Schwarzer ausstellt. Seine Arbeiten werfen unbequeme Fragen auf: Was ist das amerikanische Ideal? Was passiert mit jenen, die nicht dazugehören?

Hanson porträtiert nicht die Mächtigen oder Berühmten, sondern die Durchschnittsmenschen: dicke Touristen mit Kameras um den Hals, erschöpfte Putzfrauen, gelangweilte Hausfrauen. Seine Skulpturen erzählen Geschichten von Konsum und Einsamkeit, von Routine und sozialer Unsichtbarkeit. Er hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, ohne seine Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Stattdessen begegnet er ihnen mit Empathie.

Am 6. Januar 1996 stirbt Duane Hanson, kurz vor seinem 71. Geburtstag. Heute gilt er als einer der wichtigsten Vertreter des Hyperrealismus und als Chronist einer Gesellschaft, die sich selbst in ihrer Oberflächlichkeit verliert. Seine Werke fordern noch immer dazu auf, genau hinzusehen – denn wer das tut, verliert vielleicht den Halt, aber gewinnt eine neue Perspektive.